In dialog with prospectiv museum visitors — the Digital Diwan

Im Dialog mit zukünftigen Museumsbesuchern — Der Digitale Diwan

 

Text: Andrew Curry, RAUMWISSEN 16

Die Museumswissenschaftlerin Christine Gerbich hat sich eine herausfordernde Aufgabe gesucht: Sie will möglichst ehrliche Rückmeldung von Menschen einholen, die möglicherweise eher ausweichen, wenn sie ihnen ihre Fragen stellt. Die von ihr gesammelten Informationen sollen Museumskuratoren darin unterstützen, Ausstellungen zu entwickeln, die für unterschiedlichste Besucherinnen und Besucher interessant sind – Ausstellungen, die ihnen etwas erschließen, was sie zuvor nicht wussten, und die dennoch nicht erdrückend oder zu didaktisch sind.

Die Idee ist vielmehr, zu erkunden, was das Publikum bereits weiß und wofür es sich interessiert, um dort anzusetzen und eine gemeinsame Reise in ein neues Territorium anzutreten.

In den meisten Museen in Deutschland hat die Öffentlichkeit keinen großen Einfluss auf die Gestaltung von Ausstellungen. Normalerweise erarbeiten Sammlungsexperten das Konzept und die praktische Umsetzung, und ganz zum Schluss entwickeln andere Museumsfachleute Programme für die Vermittlung. “Dagegen wäre es doch ideal”, so Gerbich, “wenn die Expertise beider Teams von Anfang an zusammengeführt würde. So könnten sie bei der Konzeption einer Ausstellung Vorwissen sowie Bedürfnisse des Publikums gleich einbeziehen.”

Im Museum für Islamische Kunst in Berlin ist man sich besonders bewusst, wie wichtig es ist, die Menschen über ihre jeweiligen Interessen anzusprechen. Seine Sammlungen bilden ein immenses Potenzial, um über die Verbindungen und Überlappungen von Kulturen ins Gespräch zu kommen. Für Menschen mit und ohne persönliche Verbindungen in die islamisch geprägte Welt ist das ein wichtiges Thema. Dennoch erreichen die Angebote des Museums nicht alle Bevölkerungsschichten. Während der Umgestaltung der Dauerausstellung, die 2019 abgeschlossen sein soll, bemüht sich das Museumsteam zusammen mit anderen Fachleuten aus Topoi auch intensiv um Wege, wie sich das Museum mehr für Menschen öffnen könnte, die üblicherweise nicht hierher kommen.

 

Christine Gerbich vor einer Vitrine im Museum für Islamische Kunst im Pergamonmuseum der SMB

In der Vitrine im Museum für Islamische Kunst im Pergamonmuseum der Staatlichen Museen zu Berlin hängt eine Pferdefigur aus dem Wandrelief eines sassanidischen Palastes. Was mag eine Besucherin damit verbinden, der die Geschichte der Sassaniden fremd ist – die aber durchaus Interesse hat an den Kulturen in jener Region, in der bald darauf der Islam aufkam? Oder jemand, der selbst aus der Region stammt? … Eine App könnte helfen, das partizipative Kuratieren zu unterstützen, um den Museumsraum zu einem Ort für Begegnung, Dialog und Debatte werden zu lassen.

 

Es könne nicht darum gehen, komplexe Themen in den Ausstellun­gen zu umgehen, betont Christine Gerbich. Die App soll auch nicht abfragen, was Besucherinnen und Besucher sich wünschen. “Die Museumsforscherin Sharon McDonald sagt, dass so etwas zu wenig inspirierenden Ergebnissen führt – und sie hat recht.” Die Idee ist vielmehr, zu erkunden, was das Publikum bereits weiß und wofür es sich interessiert, um dort anzusetzen und eine gemeinsame Reise in ein neues Territorium anzutreten.

Ein Beispiel ist der kulturelle Reichtum des antiken Persien, für den im Museum für Islamische Kunst insbesondere die eindrucksvollen Funde aus der sassanidischen Hauptstadt Ktesiphon stehen. “Vielen Leuten fallen zum Stichwort Antike nur Griechen und Römer ein. Sie wissen nichts von den Sassaniden und ihren Beziehungen zum römischen Reich”, so Gerbich. “Es ist wichtig, die Leute dort anzusprechen, wo sie sind: Wenn sie nur an Griechen und Römer denken, dann nutzen wir das als Ausgangspunkt.”

Um Interessen und Vorwissen zu eruieren, könnte sie nun einzelne Personen aus den unterschiedlichen potenziellen Besuchergruppen interviewen. Doch das impliziere eigene Probleme: “Jedes Interview ist letztlich eine durch Machtstrukturen geprägte soziale Interaktion”, erläutert Gerbich, die auch Soziologin ist. “Für Leute, die nicht ins Museum gehen, die vielleicht kaum ihren Stadtteil verlassen, hat ja möglicherweise diese Institution selbst schon etwas Einschüchterndes.” Kommt nun jemand aus einem Museumsteam auf sie zu, kann es passieren, dass sie gar nicht sagen, was ihnen durch den Kopf geht – einfach aus Angst, sich zu blamieren. So würde es quasi unmöglich, ein echtes Feedback zu erhalten.

 

Welches Vorwissen, welche Assoziationen und welche Interessen und Fragen haben Besucherinnen und Besucher zu den Dingen, die im Museum ausgestellt sind? Eine App könnte helfen, mehr darüber zu erfahren, um bei der Ausstellungsgestaltung die Sichtweisen der zukünftigen Nutzer besser einbeziehen zu können. (Design und Programmierung: Marlene Kettner, Magdalena Noffke) Foto: Bernd Wannenmacher

Welches Vorwissen, welche Assoziationen und welche Interessen und Fragen haben Besucherinnen und Besucher zu den Dingen, die im Museum ausgestellt sind? Eine App könnte helfen, mehr darüber zu erfahren, um bei der Ausstellungsgestaltung die Sichtweisen der zukünftigen Nutzer besser einbeziehen zu können. (Design und Programmierung: Marlene Kettner, Magdalena Noffke) Foto: Bernd Wannenmacher

 

Gerbich griff zu einer technischen Lösung: Sie kreierte eine App. Und hoffte, dass dieses Werkzeug des 21. Jahrhunderts als neutrales Gegenüber funktionieren und so die schwierige soziale Dynamik vereinfachen könnte. “Der Gedanke bestand darin, mit einer Maschine die Verzerrung durch persönliche Befangenheit rauszunehmen”, sagt Bernhard Graf, Leiter des Instituts für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin, die ebenfalls Partner von Topoi sind. “Denn die Person, die die Fragen stellt, hat einen großen Einfluss auf die Antworten, die man erhält.”
Christine Gerbich
ist  Promotionsstudentin an der Berlin Graduate School of Ancient Studies im Programm “Material Cultures and Object Studies” und Mitglied der Topoi Forschungsgruppe (C-3) Fragments, Ruins and Space: The Perception and Representation of Ancient Spaces in Modern Contexts. Sie studierte Politikwissenschaften, Soziologie, Germanistik, Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Mannheim und der Indiana University (USA).

In der Zusammenarbeit mit einer Informatikerin und einer Designe­rin entstand eine App, auf der die Befragten ihr Feedback spielerisch hinterlassen konnten, statt mit einer Person zu sprechen. Ihr Kern ist eine “Galerie” von Objekten aus der Sammlung des Museums, die die Befragten anklicken können, um ihre Kommentare oder Re­aktionen zu hinterlassen. Gerbich nannte sie den Digitalen Diwan. Der Name spielt mit der Doppeldeutigkeit von Diwan: In mehreren europäischen Sprachen bezeichnet es ein Sofa zum Ausruhen; in der islamischen Welt ist ein Diwan aber auch ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um ihre Gedanken auszutauschen.

Die in der App gestellten Fragen waren so formuliert, dass sie die Befragten anregen sollten, möglichst kreativ zu denken, etwa: “Wie würden Sie das einem Kind beschreiben?” Doch die ersten Tests machten deutlich, dass die Notwendigkeit des Schreibens die Nutzerinnen und Nutzer beim Feedbackgeben hemmte. Wieder fand sich eine technische Lösung: Das Team baute Möglichkeiten zur Sprach­aufnahme oder zum Fotografieren ein.

Was dann passierte, war überraschend: “Die Technik war darauf ausgerichtet, Interaktion zu vermeiden, um den Leuten Freiraum zu geben”, erzählt Gerbich: “Aber sie wollten nicht mit einer Maschine reden!” Offenbar war es schlicht zu langwierig oder zu künstlich, mit einer wie gut auch immer gestalteten App zu kommunizieren. Oder die Interviewten fanden ihre Reaktionen auf eine merkwürdig ausgestell­te und wortreich beschriftete Skulptur nicht gewichtig genug, um sie auf dem Gerät zu hinterlassen. “Ihre wirklich interessanten Gedanken wollten sie lieber mir erzählen als der Maschine”, berichtet Christine Gerbich.

Die Museumsforscherin denkt nun darüber nach, wie sie die App sinnvoll weiterentwickeln kann. Denn auch wenn die bisherige Ver­sion noch nicht das gewünschte Ergebnis erzielt hat – um erste Hürden zu überwinden, hat sich die Technik als hilfreich erwiesen. Sicher ist, dass sie die Befragten nicht mit dem Gerät allein lassen wird – wie schwierig auch immer, Kommunikation mit Menschen funktioniert besser als die mit einem Gerät. Um etwas darüber zu erfahren, was die Angesprochenen über die ausgestellten Gegenstän­de wissen, denken oder gerne wissen möchten, gibt die App jedoch sehr genaue und äußerst hilfreiche Impulse.

MEHR ZUM THEMA

 

Raumwissen_16-2015-Cover“Museum im Wandel”: Essay von Christine Gerbich, Bernhard Graf und Stefan Weber erschienen im Topoi Magazin RAUMWISSEN, Ausgabe 16, S. 8
→ Raumwissen Ausgabe 16 online lesen [PDF | 2,5 MB]

 


 

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